Biographische Bermerkungen

Am 29. Januar 1868 wurde Ingenuin Albuin Trojer in Stribach, in der Nähe von Dölsach bei Lienz geboren. Lienz, nicht zu verwechseln mit der oberösterreichischen Hauptstadt Linz, liegt an der Kreuzung von Isel-, Puster- und Drautal. Die Altstadt erstreckt sich am Ufer des Isel, im Liebburg-Palast des 16. Jhd. sitzt die heutige Lokalregierung. Zu Ehren ihres berühmten Malers kann die Hauptstadt Osttirols auch eine Albin Egger Lienz-Galerie vorweisen.

Der kleine Albin, unehelich geboren, wurde, als er ein Jahr alt war, von der Familie seines leiblichen Vaters Georg Egger adoptiert und wuchs gleichberechtigt mit den Halbgeschwistern auf. Georg Egger war Photograph und (Kirchen) maler. Der jüngste Bruder Georg Eggers war Bildhauer. Albin war also »vorbelastet«. Die Schule (1874-1882), von Franziskanern geführt, absolvierte der Junge nur widerwillig. Geschichte war sein Lieblingsfach, dem Zeichenunterricht zog er das Figurenzeichnen in Heften und Schulbüchern während langweiliger Lektionen vor. Bereits in der Jugend zeichnete er eifrig, bis zum Eintritt in die Akademie entstanden über 200 Studienblätter: Landschaften, Tiere, Porträts und Kopien. Die außergewöhnliche Schönheit der heimatlichen Bergwelt und deren mannigfaltige Erscheinungsformen regten den jungen Egger immer wieder zum Studium vor der Natur an, wobei der Vater mit erstem künstlerischen Rat zur Seite stand. Die Blätter seiner Jugendzeit verwahrte Egger Lienz sein Leben lang mit großer Sorgfalt, erinnerten sie doch stets aufs neue auf die Bedeutung des unverstellten Blicks auf die Natur: "die schöpferische Kraft ist nichts anderes als das Gewahrwerden der Dinge". 1925 sprach Egger Lienz vom verlorenen "Gut des klaren unverwandten Kinderblickes vor den uns umgebenen Dingen", zu dem man durchdringen müsse (Egger Lienz, zit. nach Kirschl S. 27). Diesen Verlust des »unverstellten Blickes« durch die Bildung beschrieb auch Liebermann: "die Phantasie, die früher naiv den Eindruck der Natur wiederzugeben bestrebt war, wird allmählich von dem Suchen nach Korrektheit verdrängt. Aus der phantasievollen, aber unkorrekten, wird die phantasielose, aber korrekte Zeichnung" (Liebermann, S. 31).

Von 1884 bis 1893 studierte Egger Lienz an der Akademie in München. Über das Auftreten des jungen Egger gewinnt man aus einer Notiz Zeno Diemers über die Aufnahmeprüfung eine Vorstellung. Ehrfurchtsvoll betrat der Bewerber den antiken Saal und suchte sich einen Platz: "Rechts neben mir zeichnete vor der Medicäischen Venus ein junger Mann, der sofort meine Zuneigung fand, weil er mit seiner kurzen dicken Lodenjoppe und seinem altmodischen Regenschirm, den er als Malstock benutzte, den unverkennbaren Eindruck eines Gebirgssohnes machte" (Diemer, zit. nach Kirschl, S. 24). Die Eltern unterstützten Egger aus ganzer Kraft. Trotzdem reichten die Mittel kaum.

Ab 1891 nannte sich der Maler nach seiner Heimatstadt Egger-Lienz und beteiligte sich an den Jahresausstellungen im Münchener Glaspalast, ab 1893 auch an denen im Wiener Künstlerhaus. 1894 erfolgte der erste Ankauf einer größeren Arbeit durch einen Wiener Mäzen, was die finanziellen Probleme Eggers nur vorübergehend lindern konnte. Nach dem Akademiebesuch hatte Egger Lienz bis 1899 seinen festen Wohnsitz in München, lebte dort also 15 Jahre. Danach ließ er sich bis 1911 in Wien nieder. Die Jahre bis zur Weimarer Zeit lebte er in Hall. Im Zusammenhang mit seiner Berufung an die Großherzogliche Hochschule für Bildende Kunst zog der Maler dann in die Goethe-Stadt, allerdings nur für ein knappes Jahr bis Juli 1913, da er seine Professur niederlegte. Zwischendurch reiste Egger Lienz immer wieder in seine Tiroler Heimat, aber auch nach Wien und München. Er arbeitete oft in den vertrauten Alpen, suchte sich aus der dortigen Bevölkerung seine Modelle.

Im Sommer 1913 unternahm Egger Lienz mit seiner Familie eine Holland-Reise. Er bereiste u. a. Katwijk aan Zee, Leiden und Haarlem. Diese Orte waren beliebtes Ziel. Liebermann malte hier und, auf dessen Anraten, auch Kalckreuth. Es lockten nicht nur die besonderen Lichtverhältnisse, sondern auch die bedeutenden künstlerischen Ahnen »vor der Haustür«. Egger Lienz begeisterte sich für Rembrandt, Franz Hals, aber auch für die holländische Landschaftsmalerei des 17. Jhd.: "So hat man bei diesen Meistern das Gefühl, daß sich in ihnen alle Kriterien des Charakters ihrer Heimat durch stettes Erleben, in voller Abhängigkeit von ihrer Heimat, konzentrierten, zusammenspitzten ... die innige, liebevolle Anschmiegung an das [seit] der Jugend vertraute, heimische, läßt eben jene Vertiefung in den Charakter der Gegenstände zu, welche allein zu künstlerischen Dokumenten für die Zukunft werden können" (Egger Lienz, zit. nach Kirschl, S. 216). In Holland entstanden mehrere Studien und ein großes Seebild- alles Arbeiten von großer Frische und malerischer Lebendigkeit.

Egger Lienz und der Erste Weltkrieg

In Eggers Schaffenszeit fiel ein besonders einschneidendes politisches Ereignis: der Erste Weltkrieg. Bekanntlich wurde der Kriegsausbruch damals von vielen europäischen Intelektuellen begeistert begrüßt, verband doch die junge Generation mit dem Krieg Hoffnung auf eine Erneuerung einer von bürgerlicher Engstirnigkeit, Doppelmoral und Prüderie gekennzeichneten, überlebten Gesellschaft. Von der Vorstellung des Krieges als eine Art reinigender Jungbrunnen zeugen damalige Ausrufe wie: "Denn der gerechte Krieg ist nicht bloß Zertrümmerer, sonder auch Erbauer. Er vernichtet nicht bloß, sondern erzeugt auch Werte. Der gewaltigste aller Kulturzerstörer ist zugleich der mächtigste aller Kulturbringer" (Otto v. Gierke, deutscher Rechtsgelehrter, zit. nach Karcher S. 13).

Von politischer Sorglosigkeit geprägt, findet sich im Vorfeld des Krieges keinerlei Äußerung Eggers, die Kriegseuphorie oder -angst zeigen. Seine Schilderungen, die den Krieg betreffen, setzten mit dem Ausbruch ein und künden ausschließlich von dessen desaströsen Folgen, die der Maler auch am eigenen Leib verspürt hat. Egger Lienz meldete sich bei den Tiroler Standschützen, jedoch nicht aus Begeisterung am Krieg, sondern um zu verhindern, ins Ausland an die Front geschickt zu werden. Seit 1511 gab es für die Tiroler das in der Wehrverfassung verbriefte Privileg, das den Einsatz in Kriegen außerhalb des Landes ausschloß und nur in einer Notsituation des Mutterstaates gestattete. Die Tiroler Standschützen, die ab dem Mai 1915 zum Kampfe auszogen, sahen sich in der Tradition der Freiheitskämpfer von 1809. Überhaupt erfuhr der Mythos um A. Hofer gerade in dieser Zeit einen ungeheuren Aufschwung. So hatte im Oktober 1914 der Film »Tirol in Waffen« in Innsbruck Premiere, der diese Ereignisse thematisierte. Die Begeisterung war riesig, in den »Innsbrucker Nachrichten« jubelte ein Rezensent: "Tirol in Waffen! Ein Schlagwort, das in uns die Erinnerung wachruft an jene ruhmreichen Tage, an denen unsere Vorfahren Mann für Mann aufstanden gegen den Erbfeind, der tirolische Sitten und Gebräuche mißachtete und das Land mit Füßen trat ..." (zit. nach Alexander). Die Erinnerung an den Verteidigungswillen, Kampfes- und Opfermut der Tiroler bekam einen sehr aktuellen Bezug. Der Hofer-Kult erfuhr in der Nachkriegszeit eine weitere Blütezeit mit der Stoßrichtung gegen den »welschen« Erbfeind und Eindringling, der die »deutschen Brüder« jenseits des Brenners unterdrückt hält.

Der Kampfeinsatz an der Front blieb dem Maler erspart. Egger Lienz befand sich nur zwei Wochen zwecks Verteidigungsbereitschaft auf einer Festung bei Riva »mitten im Kanonendonner«. Dann attestierte ein Arzt Untauglichkeit und Egger Lienz arbeitete in Bozen als »künstlerischer Beirat im Kriegsfürsorgeamt«. Die Tätigkeit entsprach ausschließlich seinem Beruf, neben der eigenen Arbeit entwarf er Kriegspostkarten und Illustrationen für die »Tiroler Soldatenzeitung«. Unschwer zu erraten, hatten diese Darstellungen nichts an Drastik und Härte wie beispielsweise die Schützengrabenzeichnungen eines Otto Dix: »ruhige« Momente des Soldatenalltags z. B. Soldatenporträts, Soldaten auf Wacht, auf Rast, den Gegner anvisierend oder optimistisch vorstürmend. Leichen, Verletzungen, Zerstörungen blieben an dieser Stelle ausgespart. 1916 gab es direkten Kontakt zur Front. Egger Lienz besuchte die Stellungen in Folgaria und Trient. An letzterem Ort erlebte er im Mai als Beobachter die entfesselte Wut des Krieges hautnah. In einer Mischung aus Faszination an der Wucht der Schlacht und Entsetzen beschrieb der Maler die österreichische Offensive, die den italienischen Truppen eine Niederlage brachte. Angesichts des zerstörten Castell Dante erinnerte sich Egger Lienz an den großen Dichter, der hier seine »Hölle« schrieb: "zwei hohe Rauchsäulen stehen ... auf dem von seinem Namen geweihten Ort, wo einst ein Mensch in reinster Liebe und reinstem Hasse die Welt in seinen Tiefen sah wie wenig andre 'Mich gemahnt's an diesem Tag der Not an deinen Schöpfergeist ...' " Die erschöpften gefangengenommenen Italiener erschienen dem Tiroler wie aus der Hölle Dantes daherwankend. Wenn Egger Lienz am Ende seines Berichtes formulierte: "Über die teilweise verschont gebliebenen Flächen, die in langen Streifen in das Totenfeld hineingreifen, schimmert und leuchtet da oben der Frühlingsbote in jauchzender Menge, der heilige, liebliche Krokus", so erinnert mich dies unweigerlich an Aspekte der Auseinandersetzung mit dem Krieg in den Schützengrabenzeichnungen von Dix: die Kraft der Natur, die unbeeindruckt von der von Menschenhand geschaffenen Katastrophe fortbesteht und gedeiht. Neben den Resten der Menschen, sowie deren Kriegstechnik und Bauten reproduziert sich (noch!) unbeirrt die Natur. Den direkten Anblick der Leichen vermochte Egger Lienz nur zu umschreiben: "Da ein zur Spirale verbogenes italienisches Gewehr, da eine Ansichtskarte - da - ein Stahlhelm, und da -- da ---" (zit. nach Kirschl, S. 730).

Die Niederlage Österreichs im Krieg (3.11.1918) brachte einschneidende Veränderungen für das Land. Am 10.9.1919 wurde bei Paris der Friedensvertrag mit Österreich unterzeichnet. Neben gewaltigen Reparationsleistungen schloß dieser auch die Anerkennung der Unabhängigkeit und Grenzen Ungarns, Polens, der Tschecheslowakai und des Königreiches der Slovenen und Kroaten ein, sowie den Verlust Südtirols und südslawischer Gebiete an Italien. Aus einem Vielvölkerstaat wurde eine kleine Republik mit 6.5 Millionen Einwohnern, von denen allein ein Viertel in Wien, dem historisch gewachsenen Zentrum des einstigen Riesenreiches lebte. Die wirtschaftlich- soziale Situation (nicht nur) der Stadt war verheerend, die auf die Bedürfnisse einer Großmacht entwickelte Industrie-, Handels- und Infrastruktur funktions- und perspektivlos geworden. Auch aus diesem Grund machte Egger Lienz einen großen Bogen um diese Stadt. 1919 lehnte er eine Professur an der Wiener Akademie ab, nachdem er sich über die Verhältnisse und Lebenserhaltungskosten in Wien informiert hatte. Die ungleich besseren wirtschaftlichen Bedingungen bewogen ihn, sich in der Nähe von Bozen, das jetzt italienisch war, niederzulassen. Die Misere in Deutschland und Österreich schien ihm aussichtslos. "In Österreich wüthet die Hungersnot, und was darauf folgt, wer weiß es? ... und Deutschland? Auf einem Cadaver trampelt die Welt nun ein Jahr herum und bekommt noch immer nicht genug. Nichts zeigt den Stand der Kultur von heute besser, als dieses schrankenlose von keiner Moral mehr gehemte Wüthen gegen einen wehrlosen besiegten. Schwer ist es jedenfalls der heutigen Jugend, Vertrauen und Mut zu schöpfen zu Taten, in einer Zeit des schwärzesten Faustrechtes. Hier lebt man unter Italien gut u. sicher" (zit. nach Kirschl, S. 338).

Egger Lienz mußte sich und die Familie in der Nachkriegszeit mit dem Verkauf von Wiederholungen früherer Arbeiten durchbringen. Nahrungs- und Genußmittel, Bücher, Brennmaterial und auch ein deutscher Boxer mit Namen Rex wurden so auf dem Tauschweg erworben. Der Maler legte dabei jedoch größte Aufmerksamkeit auf die künstlerische Qualität seiner Bilder, die aus diesem Anlaß das Atelier verließen.

Die umfassende Industrie-, Finanz- und Wirtschaftskrise Österreichs, die zu öffentlichen Unruhen, Protesten gegen Teuerung und Spekulation, Straßenkämpfen und Hungermärschen führte, bewog Bundeskanzler Seipel, die Westmächte um finanzielle Hilfe zu bitten. Als Gegenleistung sollte das Recht auf Kontrolle der österreichischen Finanzen eingeräumt werden. Im Oktober 1922 kam es zur Unterzeichnung der »Genfer Protokolle«, in deren Folge sich besonders Italien, Großbritanien und Frankreich um den Einfluß in Österreich stritten. Auch in diesem Kontext sollte man die Bemühungen Italiens um den Tiroler Maler betrachten, die Kirschl als »auffällig« und in »kaum mißzuverstehender Weise« geschehend charakterisiert, und die bereits wenige Monate nach dem Kriegsende einsetzten. Neben den kulturpolitischen Motiven, aus denen die Förderung durch Italien im Interesse der umfassenden Integration der neugewonnenen Gebiete erfolgte (Egger Lienz war inzwischen ein bekannter Maler Tirols), darf natürlich nicht das ehrliche Interesse und die Wertschätzung von italienischem Kunstpublikum und Kunstwissenschaftlern für Eggers Kunst vergessen werden. In den 20-er Jahren kam es durch die zunehmende Faschisierung des politischen Lebens zu Unruhen, Streiks und Ausschreitungen, wobei Bozen, dessen Bürgerrecht Egger Lienz im September 1919 erwarb (Juni 1923 italienische Staatsbürgerschaft), besonders betroffen war. Dazu äußerte sich der Maler in seinen Briefen nicht, auch nicht, als Mussolini vom König zum Ministerpräsidenten (31.10.1922) ernannt wurde. Der Maler konzentrierte sich völlig auf die Organisation seiner Ausstellungstätigkeit und auf seine Arbeit. Die neu errungene Möglichkeit der Existenzsicherung, sowie die mögliche Annahme, daß der Erfolg nur auf der Wertschätzung seiner Kunst beruhte, könnten die politische Arg- und Sorglosigkeit des Maler erklären. "Daß ich meine Heimat nie vergessen werde und kann, bezeugt jeder Pinselstrich von mir; aber auch den Italienern werde ich nicht vergessen, wie sie meine Kunst aufgenommen haben ... Dürer sagte einmal, als er nach einem Jahre Venediger Aufenthaltes an die Heimreise denken mußte: 'Hier bin ich ein Herr, aber zuhause ein Bettler' " (Egger Lienz, zit. nach Kirschl, S. 384).

Hätte Egger Lienz länger gelebt, hätte er vermutlich, was die Bewertung seiner Kunst im Land der Zitronen betrifft, eine böse Überraschung erlebt. In einer parteiamtlichen Zeitung der Faschisten in Bozen verbreitete sich ein knappes Jahr nach dem Tod des Malers ein Abgeordneter in einer üblen, faschistoid geprägten Schmähschrift besonders über die Figurenmalerei von Egger Lienz: die Menschheit bestünde bei dem Maler aus "Galgengesichtern mit einem Irrenhaus oder Spital als Hintergrund", deren Herkunft "offenkundig" Tirol sei: "Sie gehören zu dem fanatischen und mißgestalteten Menschenschlag, der jenseits des Brenners lebt. Es sind die Kropfigen und Alkoholiker des Inntals ... es sind Überbleibsel vieler lasterhafter Generationen. Mit einem Wort: Sie sind Tiroler, nicht Oberetscher" (zit. nach Kirschl, S. 668).

 


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