Einleitende Bemerkungen

"Ich male keine Bauern, sondern Formen!" Dies hat Egger Lienz seinen Kritikern zugerufen, die ihn als »Bauernmaler« bezeichneten. Tatsächlich entzieht sich Eggers Werk dieser vergröbernden Bewertung, betrachtet man die unter diesem Schlagwort überlieferte Kunst des 19. Jhd., die oftmals von Realitätsferne, Idyllisierung und Sentimentalisierung geprägt war.

Die stilistische Einordnung des Malers fällt schwer. Vielfältige Einflüsse zeitgenössischer Kunst und kunsthistorischer Vorbilder bis aus vorchristlicher Zeit sind am Bildwerk ablesbar, ohne sich in einem Eklektizismus zu formieren.

"Am Stoff entzünde sich das Temperament ..." Dieser Satz steht über dem gesamten Werk von Egger Lienz, diesem Leitgedanken wird er in einer kontinuierlichen Entwicklungslinie folgen. "Die Anwendung verschiedener Kunst- od. Form- Mittel erscheint mir Nebensache, insoferne sie dem Stoffe zusagen od. aus ihm geboren sind" (Egger Lienz, zit. nach Kirschl, S. 318) . Eggers Aussage beantwortet die Frage eindeutig, zu welchem der beiden Pole der Malerei- »idealistische« oder »naturalistische« - der Maler sich zuordnete: der "Stoff" als das "befruchtende, durchsetzende, formzeugende Element" (ebenda, S. 286). Die Auffassung, "daß die gut gemalte Rübe besser sei als die schlecht gemalte Madonna" (Liebermann, S. 32) verwarf Egger Lienz lebenslang. Der Maler lehnte den Impressionismus, wobei er dabei hauptsächlich die Kunst Liebermanns und Slevogts meinte, konsequent ab. Ausgehend von Zolas Äußerungen, daß Malerei ein durch ein »Temperament« gesehenes Stück Natur ist, attackierte der streitlustige Tiroler Liebermann, um dabei ungewollt eine Überlegung in dessen »Phantasie in der Malerei« zu bestätigen: "Wie nüchtern u. arm ist das Temperament Liebermanns. Eine Naturabmalerei mit halbgeschlossenen Augen ... Obiektiv allerdings, aber ohne künstlerische Persönlichkeit, sowie die Natur eben nüchterne Menschen sehen. Da fehlt der Dichter, der vielverhöhnte in der jezigen Ära der sogenannten reinen Malerei. Jede malerische Leistung, soll sie ein Kunstwerk sein, ist aus einem Dichtermenschen entsprungen" (Egger Lienz 1911/12, zit. nach Kirschl, S. 354) . Liebermann führte ja in seiner Schrift die Abwertung der »naturalistischen« Malerei als geistlose Kopie der Natur auf die ästhetische Bewertung der Malerei durch den Schriftsteller zurück: " 'Der Maler, der nach der Beschreibung ... eine schöne Landschaft darstellt, hat mehr getan, als der sie gerade von der Natur kopiert.' Der Schriftsteller versteht in der Gedankenmalerei die literaische Phantasie, und daher stellt er sie über die sinnliche Malerei ..." (Liebermann, S. 43). 1

Eine weitere zentrale Aussage Eggers zu seinem künstlerischen Anliegen läßt symbolistische Tendenzen erkennen: " 'Die monumentale Form', die Vergeistigung des Stoffes zum Symbol ..." (Egger Lienz zit. nach Kirschl, S. 268). Dabei verstehe ich unter dem Terminus »Symbolismus« "jegliche Kunst, die gedankliche Zusammenhänge, Zustände der Seele und elementare Phänomene menschlicher Existenz in Zeichen, Symbolen, Allegorien anschaulich zu machen versucht" (Dückers, S. 235). Die diese Konzeption vertretende Kunstströmung, die sich zeitlich von den 80er Jahren des 19. Jhd. bis in die Vorkriegszeit erstreckte, umfaßte Künstler so unterschiedlichen Coleurs wie A. Böcklin, G. Moreau, Puvis de Chavannes oder F. Hodler. Eggers Figuren, die er aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld entnahm, sind auch als Zeichen zu verstehen, erhalten allgemeingültige Bedeutungen, stehen für »etwas«. Während jedoch beispielweise Böcklin sich das Naturvorbild auf kontemplativem Weg erschloß, studierte Egger Lienz sein Leben lang das Modell, den Landschaftsausschnitt, das Interieur vor Ort in unzähligen Zeichnungen und Farbskizzen, von denen leider vieles verlorengegangen ist, maß doch der Maler dem Wert dieser Arbeiten nur eine untergeordnete Bedeutung bei.

Am Beginn seines Malerlebens knüpfte Egger an die Traditionen des Historienbildes des 19. Jhd. an. Dieser Eigensinn, als junger Künstler in einer Zeit stürmischer Kunstneuerungen scheinbar Überlebtes, Veraltetes aufzugreifen, ohne sich darum zu kümmern, was »angesagt« Mode ist, den »mainstream« außer acht zu lassen - dieser Mut weckte u. a. mein Interesse an dem Tiroler Maler. Die Originalität und die Aussagekraft, das Beeindruckende seiner Bildwelt lassen verwundern, daß der Künstler heute so in Vergessenheit geraten ist.

Bei der Bildbetrachtung möchte ich zwei Aspekte besonders beobachten: der Weg bis zur Herausbildung der verzerrt- gleichnishaften Räumlichkeit in den späteren Arbeiten und die kontinuierliche Entwicklungslogik, die seinem Werke innewohnt. Ein (Spät)werk, das solch stilistischen Bruch mit dem Hauptwerk bedeutete, wie es bei so manch anderem Künstler dieser Zeit der Fall war, ist bei Egger Lienz nicht vorhanden.

Jede Kunst entsteht im Spannungsfeld äußerer Gegebenheiten, bedingt durch bestimmte politisch- ökonomische, sowie geistig- kulturelle Entwicklungen, die eine Brechung in der Psyche des Künstlers erfahren. Hinzu kommen persönlich- biographische Gegebenheiten, die im Wechselverhältnis zum Werk des Künstlers stehen. Ausgehend davon, möchte ich in meine Überlegungen zum Bildwerk auch solche äußeren Umstände einbeziehen. Am Beginn meiner Arbeit soll erörtert werden, wieso sich Künstler verstärkt der Natur, der Landschaft und deren Bewohnern zuwendeten.

 


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Fußnote
  1. Liebermann, dies sei der Vollständigkeit halber hier erwähnt, sah das Qualitätskriterium für die Malerei in der "schöpferischen Phantasie ... und es ist daher ganz gleichgültig, ob der Maler einen Sonnenuntergang aus der Tiefe seines Gemüts oder nach einem Gedicht ... oder nach der Natur malt. Nicht der Idealist steht ... höher als der Realist, sondern die Stärke der Phantasie macht den größeren Künstler" (Liebermann, S. 43), das heißt, die Tätigkeit des Malers, "für das, was er - und zwar nur er - in der Natur oder im Geiste sieht, den adäquaten Ausdruck zu finden" (ebenda, S. 31).

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